Wenn Ruhm nicht reicht

Wenn Ruhm nicht reicht
Von den Slums Puerto Ricos zum Welterfolg mit Bill Haley – und der Rest der Geschichte

Einer meiner Brüder war Terrorist, der andere Anführer einer New Yorker Bande. Aber in einer Sache waren sich beide einig: Sie wollten nie Teil der Mafia werden. „Wenn du einmal dabei bist, kommst du nie wieder raus“, sagten sie. „Und je mehr man weiß, desto schwieriger wird es.“ Aber genau das war mir passiert.

Ich war noch jung. Wir waren von Puerto Rico weggezogen, um der Armut zu entfliehen. Wer möchte schon an einem Ort aufwachsen, der nicht nur „Dreckloch“ heißt, sondern auch eines ist? Ich wurde im Jahr 1946 in El Fanguito (Puerto Rico) geboren. Die Insel Puerto Rico – eigentlich eine wunderschöne Urlaubsinsel – liegt in der Karibik, und zwar zwischen der Dominikanischen Republik und den Virgin Islands. Das Haus meiner Eltern war eine Baracke. Es stand mitten in einem Schlammloch – von Wasser und Schmutz umgeben. Es gab keine Kanalisation, und in dem Matsch, in dem wir Kinder spielten, konnte man täglich menschliche Exkremente herumschwimmen sehen. Kein Wunder, dass wir unter schrecklichen Wurmkrankheiten litten.

Mein Vater verließ meine Mutter, als ich sechs Monate alt war. Danach musste sie mich und meine Geschwister irgendwie allein durchbekommen. „Weg von hier!“ war unsere oberste Devise. Tatsächlich schaffte sie es, mit uns an einen anderen Ort zu ziehen, wo wir uns einfach als Landbesetzer niederließen.

Wir Kinder durchwühlten täglich die Mülldeponie, um Essbares zu finden – aber auch, um nach anderen Dingen zu suchen, die wir irgendwie zu Geld machen konnten. Wir waren so arm, dass uns nicht einmal der Schmutz am Essen störte. Unser Leitspruch war: „Was uns nicht umbringt, macht uns fett!“

Als ich ca. sechs Jahre alt war, beschlossen mein Stiefvater und meine Mutter, nach New York zu ziehen, um uns Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Das war – abgesehen von den Reisekosten – nicht allzu schwer, denn Puerto Rico war (und ist auch heute noch) ein sogenanntes „nicht inkorporiertes Gebiet“ der Vereinigten Staaten. Dies bedeutet, dass alle Puerto-Ricaner die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzen.

Aus finanziellen Gründen konnten wir nicht als ganze Familie auf einmal übersiedeln. Deshalb zogen zunächst nur meine Mutter und ich zusammen mit zwei Geschwistern in die USA. In New York ließen wir uns im Stadtteil Brooklyn nieder. Bevor jedoch mein Stiefvater das Geld für die Übersiedlung der restlichen vier Geschwister verdienen konnte, verstarb er plötzlich.

Das machte die Herausforderung für meine Mutter noch größer. Jetzt musste sie die Mittel für die Übersiedlung der übrigen Kinder aufbringen und danach alle sieben Kinder – sechs Jungen und ein Mädchen – allein großziehen. Und das, obwohl sie todkrank war. Sie hatte nicht nur Rheuma und Asthma, sondern auch Krebs. Die Ärzte gaben ihr weniger als ein Jahr Überlebenszeit. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als von Sozialhilfe zu leben. Aber letztlich schaffte sie es, ihr Leben zu meisten, so meine Überzeugung, nur deshalb, weil sie eine gläubige Frau war und viel betete. Aber mich interessierte das damals überhaupt nicht.

Wir passten uns bald an die neue Kultur an, lernten Englisch (auf Puerto Rico hatten wir nur Spanisch gesprochen) und schlugen uns mehr schlecht als recht durchs Leben. Aber von der Sozialhilfe abhängig zu sein, war für uns etwas Schreckliches. Wir schämten uns dafür. Wenn man nichts als Armut kennt, hat man ein ausgeprägtes Verlangen danach, etwas darzustellen, sich herauszuheben und diesem Stigma der Armut und dem Geruch des Asozialen zu entkommen.

Ich versuchte alles Mögliche, um aus mir etwas Besonderes zu machen. Zuerst probierte ich es mit Sport. Das Rollschuhlaufen war damals beliebt. Deshalb entwickelte ich meine Fähigkeiten in dieser Sportart zu einer regelrechten Kunstform. Ich wollte der beste Rollschuhläufer aller Zeiten werden. In New York musste man als Rollschuhläufer wirklich gut sein. Wir liefen gewöhnlich auf der Straße, und die Autofahrer mit ihren schweren Karossen (der Fünfziger Jahre) hielten nichts vom Bremsen; sie hupten nur.

Schließlich beherrschte ich alle Tricks und Kunststücke des Rollschuhlaufens. Ich kam an den Punkt, dass ich alle anderen überflügelte. Aber irgendwie verspürte ich doch nicht die Befriedigung, die ich mir erhofft hatte. Ich fühlte mich immer noch genauso leer wie vorher. Deshalb versuchte ich etwas anderes...

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