Vom Boogie Monster zum Gottesmann

Vom Boogie Monster zum Gottesmann
Die weite Reise des Hip-Hop-Stars

Die Stimmung im Saal knisterte. Der Sprecher machte eine Kunstpause, bevor er den Sieger des Talent-Wettbewerbs verkündete: „And the winner is: The Boogie Monsters!“ Yoda wäre am liebsten aufgesprungen und hätte einen Freudentanz aufgeführt. Aber er verzog keine Miene. Betont langsam und lässig gingen er und die anderen Band-Mitglieder – Mondo, Vex und Jedi – auf die Bühne. Sie taten so, als sei der Gewinn dieses Preises an der Howard-Universität in Washington D. C. das Normalste der Welt. Welches Musik-Genre sie vertraten, konnte man allein schon an ihrem typischen Rapper-Gang, ihren Dreadlocks und ihrer Hip-Hop-Kleidung erkennen. Ein echter Rapper ist immer cool und gelassen. Stolz und die Aura der Überlegenheit sind die Markenzeichen der Black-Power-Musik und des Hip-Hop-Lebensgefühls.

Yoda hieß eigentlich Ivor und hatte als Künstlernamen den Namen des mächtigen Jedi-Meisters aus den Star-Wars-Filmen gewählt. Er identifizierte sich mit den Gestalten und Inhalten dieser Science-Fiction- Trilogie. Der im Film 900 Jahre alte Yoda war bekannt für seine Weisheit und die Beherrschung der „Macht“ („Möge die Macht mit dir sein“). Auch Ivor war auf der Suche nach verborgener Weisheit. Sein Bruder Sean, ebenfalls Mitglied der Hip- Hop-Band The Boogie Monsters, hatte den Namen Jedi angenommen, und zwar nach den Jedi-Rittern in Star Wars, die den Frieden und die Gerechtigkeit in der Galaxie sichern sollten.

Ivor war 1972 in Kingston, Jamaika, als dritter von vier Söhnen zur Welt gekommen. Sein Vater arbeitete für das jamaikanische Militär, wo er zunächst geheime Einsätze und Erkundungsflüge leitete. Später wurde er Chef der Inneren Sicherheit und dann der Spionageabwehr. Außerdem war er Ausbilder für Kampfsportarten.

Der Beruf des Vaters war Anlass für eine entscheidende Wende im Leben der Familie. Da er bei seinen Einsätzen auch Drogenrazzien durchführte, wurde Ivors Vater zur Zielscheibe der Drogenmafia. Da dadurch seine Familie direkt gefährdet wurde, entschloss er sich, mit seiner Familie in die USA auszuwandern.

Da die Eltern in den USA erst Fuß fassen wollten, blieben Ivor und seine Brüder zunächst zurück. Ein halbes Jahr lang wurden sie von Freunden in Jamaika betreut. Ivor verstand mit seinen fünf Jahren nicht, warum die Eltern ihn „verlassen“ hatten. Er litt unter der Trennung und entwickelte eine innere Wut. Was aber noch schlimmer war: Skrupellose Personen vergingen sich an den Kindern. In einem Alter, in dem andere Kinder noch nicht einmal wissen, was Sex ist, wurde Ivor in eine Welt eingeführt, die in den geschützten, intimen Rahmen einer Ehe unter Erwachsenen gehört. Für Ivor wurde eine Tür aufgestoßen, die seine Kindheit bis in die junge Erwachsenenzeit prägte. Intimität mit einer großen Anzahl von Mädchen wurde zum coolen Nervenkitzel und Mittel zur Selbstbestätigung. Aber gleichzeitig musste er sich schon im unschuldigen Kindesalter mit Ängsten herumplagen, ob er eventuell Vater würde oder sich mit HIV angesteckt hatte.

Dann kam die Übersiedlung nach New York. Die erste Zeit war schwer. Ivor wurde wegen seines jamaikanischen Akzents gehänselt. Sein Vater wollte nicht zulassen, dass seine Jungen auch nur einen Kampf oder eine Prügelei verloren. Deshalb bildete er sie in allen möglichen Kampfsportarten aus. Schon früh wusste Ivor, wie man seinen Körper, aber auch Waffen einsetzt. Für ihn war es normal, Probleme mit physischer Gewalt zu lösen.

Kampfsport-Filme gehörten bald zur großen Leidenschaft Ivors und seines Bruders Sean. So konnten sie in eine Fantasiewelt abtauchen, die bald auch ihr Leben zu prägen begann. Sie schafften sich ein ganzes Waffenarsenal an: Manriki-Kusari (eine Kette mit Eisengewichten an den Enden), Nunchalcus (zwei Hartholzstäbe, die durch eine Kette verbunden sind), Schwerter, Blasrohre, Rauchbomben, chinesische Wurfsterne und -pfeile, Enterhaken, Hand- und Fußkrallen, Stöcke und vieles mehr. Sie trainierten im Wald und brachten es zu einer gewissen Meisterschaft.

Ergänzt wurde ihre Kampfsport- Manie durch ihre Leidenschaft für Science-Fiction-Filme. Die Unterhaltungsindustrie übte einen unwiderstehlichen Reiz auf Ivor und Sean aus. Angelehnt an die Begriffswelt der Star-Wars-Filme sprach Ivor von „der Macht“, die mit ihm war. Damit lag er, wie er später meinte, ziemlich nahe an der Wahrheit: Die Unterhaltungsindustrie – so später seine Überzeugung – würde die Menschen beherrschen, abhängig machen und manipulieren. Doch damals lebten die Jungen ungestört in der Welt der Filme und spielten deren Szenen nach. Oder sie dachten sich selbst Szenen aus, in denen sie die Helden waren. Dabei mutierte der Alltag zu einer Filmkulisse. Überall lauerten Außerirdische, Werwölfe oder Monster, die bekämpft werden mussten...

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