Kontinuität & Wandel des Katholizismus

Kontinuität & Wandel des Katholizismus
Reif für die Einheitskirche?

Die römisch-katholische Kirche hat über lange Zeit die politische Geschichte Europas mitbestimmt. Sie ist auch heute noch (zumindest) ein Kulturfaktor von außergewöhnlicher Bedeutung. In der vom Ökumenismus geprägten Jetztzeit bemüht sie sich, Stimme für alle Christen, ja, alle Religionen zu sein, und tritt in der Auseinandersetzung mit dem modernen Zeitgeist zielstrebig für die traditionellen Werte der jüdisch-christlichen Ethik ein.

Das Zentrum der Weltkirche, der Kirchenstaat, geographisch heute ein winziges Gebilde, gilt dem Einfluss nach immer noch als „Weltmacht“. Vordergründig klein, stellt der Vatikanstaat politisch ein bedeutendes „Reich von dieser Welt“ dar.

Biblische Norm oder geschichtliches Erbe?

Obwohl die katholische Kirche auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurückblicken kann, ist sie nicht ganz so alt wie das Christentum. Als Papstkirche aus der Spätantike herausgewachsen, gleicht sie in vielem nicht mehr der alten katholischen Kirche aus dem 2. bis 4. Jahrhundert und noch weniger der urchristlichen Gemeinde aus apostolischer Zeit. Nach dem Urteil eines ihrer bedeutenden vorkonziliaren Theologen ist der römische Katholizismus der Versuch, Elemente aus vielen Religionen und Kulturen aufzunehmen und sie zu verchristlichen. Daher „ist der Katholizismus nicht schlichtweg identisch mit dem Urchristentum“ (K. Adam). Vielmehr ist er grundsätzlich offen für eine Synthese von Elementen aus Judentum, Buddhismus, Hinduismus und Schintoismus.

Der römische Katholizismus von heute gleicht auch nicht mehr der spätmittelalterlichen Kirche – jener Kirche, die Martin Luther in Leben und Lehre reformieren wollte. Sie hat mit dem Konzil von Trient (16. Jh.) die Reformation abgewiesen und sich mit Dogmen wie der Sündlosigkeit Mariens (1854) und ihrer leiblichen Himmelfahrt (1950) sowie der Unfehlbarkeit des Papstes in Lehrentscheidungen (1870) zu einer Kirche entwickelt, wie sie die Reformatoren – Luther, Zwingli, Calvin – so nicht kannten.

Während ein ausschließlich biblisch orientierter christlicher Glaube geschichtliche Entwicklungen immer an der biblischen Norm misst und von ihr her beurteilt, identifiziert der römisch-katholische Glaube das historisch Entstandene und Gewachsene einfach mit dem Willen Gottes. Deshalb ist für katholische Gläubige die Kirche „irrtumslos“ und kann daher mit Christus verglichen werden. Der Katholik glaubt: So wie sich Lehre und Kult der Kirche über Jahrhunderte entwickelt haben, so hat es Gott auch gewollt. Wesentlich dazu beigetragen hat die Sicht vom sogenannten „Glaubensinstinkt“ der Kirche, die besagt, dass eine vorherrschende Lehre, die sich auch historisch durchzusetzen vermochte, zum authentischen kirchlichen Glaubensschatz gehöre.

Die Kirche nach dem Konzil von Trient: Der lange Weg ins ökumenische Zeitalter

Mit der Verwerfung der Reformation und der Durchführung verschiedener innerkirchlicher Reformen – etwa dem Verbot der Ablassprediger, der Reform der Bettelorden und der Residenzpflicht der Bischöfe – entstand die nachtridentinische Kirche, die „neue Pflanzung des Katholizismus.“ Mit ihrem kämpferischen Charakter, wie er in der Gründung des Jesuiten-Ordens und der Erneuerung der Inquisition zum Ausdruck kam, gelang es ihr, die Ausbreitung der Reformation in Europa anzuhalten – nicht zuletzt auch durch die strenge, von Rom ausgehende Kontrolle, u. a. die Einführung des Index der verbotenen Bücher.

Dieser auf dem Konzil von Trient (1545–1563) erneuerte Katholizismus bezahlte jedoch für seine weitere Selbstbehauptung und dogmatische Geschlossenheit einen hohen Preis. Er vermochte in Abwehr des Protestantismus nicht, seinen mittelalterlich intoleranten Charakter abzustreifen. Die katholische Gegenreformation versuchte, sich durch Kriege gegen evangelische Volksgruppen und/ oder deren Vertreibungen mit Macht und Gewalt durchzusetzen. So handelte die nachtridentinische Kirche ganz im Sinne von Thomas von Aquin, dem großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts, für den es eisern feststand, dass „Häretiker nicht nur exkommuniziert, sondern gerechterweise auch umgebracht werden können.“

Stimmen, die in jener Zeit für Gewissens- und Religionsfreiheit laut wurden, waren freilich auch im Protestantismus selten. Zu den wenigen gehörten Roger Williams im Amerika des 17. Jahrhunderts und John Locke im England des 17./18. Jahrhunderts. Von der römischen Kirche aber wurden derartige Forderungen mit großer Entrüstung zurückgewiesen. Noch im 19. Jahrhundert bezeichnete Papst Gregor XVI. die Gewissensfreiheit als „Wahnsinn“ und „verpesteten Irrtum“. Die „Freiheit des Irrtums“ wurde mit aggressiver Schärfe als „Verderben des Staates und der Kirche“ verdammt. Der Papst berief sich dabei auf den Kirchenvater Augustinus (4./5. Jh.), um zu zeigen, dass eine solche Haltung der guten katholischen Tradition entsprach.

Mit ähnlicher Schroffheit wurde auch die Ideenwelt der Neuzeit wie Demokratieverständnis oder Volksherrschaft und Sozialismus als „Pestkrankheiten“ und „tödliche Geißeln der menschlichen Gesellschaft“ (Leo XIII.) abgewiesen. Die neuzeitliche Forderung nach Trennung von Kirche und Staat wurde von Päpsten wie Pius IX. und Pius X. als ein „im höchsten Grade verderblicher Grundsatz“ vehement verworfen. Liberales Gedankengut, das um die Wende zum 20. Jahrhundert aus der Übernahme von Ideen der neoprotestantischen Theologie in das katholische Denken eingeflossen war – dazu gehörten die historisch-kritische Bibelexegese und Anschauungen der modernen wissenschaftlichen Forschung –, wurde im sogenannten „Modernistenstreit“ bekämpft und entschieden abgelehnt.

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