Reif für die Einheitskirche?

Reif für die Einheitskirche?
Über die scheinbare Veränderung der katholischen Kirche

Protestanten, Orthodoxe, Anglikaner und Katholiken träumen von einer Wiedervereinigung des Christentums – von der Überwindung der Jahrhunderte alten Kirchenspaltung. Nicht zuletzt beflügelt durch einen Zeitgeist, der sich nach Harmonie und Einheit sehnt, stehen die Chancen für einen solchen Schritt heute besser denn je. Viele ökumenewillige Christen stellen daher die Frage: Hat sich die katholische Kirche geändert? Ist sie heute dem Ideal eines biblischen Urchristentums näher als im Mittelalter? Gerade der menschenfreundliche und demütig erscheinende Papst Franziskus hat hier neue Hoffnungen geweckt. Doch es gibt hohe Hürden, die zu überspringen sind. Zu ihnen gehören nach wie vor die geistlich-weltliche Machtfülle des Papsttums und sein Anspruch der Unfehlbarkeit. Diese sind mit den Idealen Jesu und der protestantischen Vorstellung von Kirche nicht vereinbar. Der Anspruch des Papstes auf Unfehlbarkeit, aber auch die Gleichsetzung der Kirche mit Christus ist – so Kritiker eines Zusammenschlusses – im Lichte der Bibel eine gigantische religiöse Selbstüberhebung und nur schwer zu akzeptieren. Daher stellt sich die Frage: Können sich die nichtkatholischen Kirchen mit der Papstkirche einigen, ohne von ihr erdrückt zu werden? Ein Blick in die Geschichte hilft bei der Suche nach einer Antwort.

Die römisch-katholische Kirche hat über lange Zeit die politische Geschichte Europas mitbestimmt. Sie ist auch heute noch (zumindest) ein Kulturfaktor von außergewöhnlicher Bedeutung. In der vom Ökumenismus geprägten Jetztzeit bemüht sie sich, Stimme für alle Christen, ja, alle Religionen zu sein, und tritt in der Auseinandersetzung mit dem modernen Zeitgeist zielstrebig für die traditionellen Werte der jüdischchristlichen Ethik ein.

Das Zentrum der Weltkirche, der Kirchenstaat, geographisch heute ein winziges Gebilde, gilt dem Einfluss nach immer noch als „Weltmacht“. Vordergründig klein, stellt der Vatikanstaat politisch ein bedeutendes „Reich von dieser Welt“ dar.

Biblische Norm oder geschichtliches Erbe?

Obwohl die katholische Kirche auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurückblicken kann, ist sie nicht ganz so alt wie das Christentum. Als Papstkirche aus der Spätantike herausgewachsen, gleicht sie in vielem nicht mehr der alten katholischen Kirche aus dem 2. bis 4. Jahrhundert und noch weniger der urchristlichen Gemeinde aus apostolischer Zeit. Nach dem Urteil eines ihrer bedeutenden vorkonziliaren Theologen ist der römische Katholizismus der Versuch, Elemente aus vielen Religionen und Kulturen aufzunehmen und sie zu verchristlichen. Daher „ist der Katholizismus nicht schlichtweg identisch mit dem Urchristentum“. Vielmehr ist er grundsätzlich offen für eine Synthese von Elementen aus Judentum, Buddhismus, Hinduismus und Schintoismus.

Aus diesem Grund beschrieb der Religionswissenschaftler Friedrich Heiler (1892-1967), der von Rom zum Luthertum gekommen war, das Wesen des Katholizismus als eine Vereinigung von Gegensätzen. In ihm sind biblische Grundelemente mit später gewachsener kirchlicher Tradition (hierarchische Strukturen, Sakramentsdenken, Mariologie) verbunden worden.

Der römische Katholizismus von heute gleicht auch nicht mehr der spätmittelalterlichen Kirche, jener Kirche, die Martin Luther in Leben und Lehre reformieren wollte. Sie hat mit dem Konzil von Trient (16. Jh.) die Reformation abgewiesen und sich mit Dogmen wie der Sündlosigkeit Mariens (1854) und ihrer leiblichen Himmelfahrt (1950) sowie der Unfehlbarkeit des Papstes in Lehrentscheidungen (1870) zu einer Kirche entwickelt, wie sie die Reformatoren – Luther, Zwingli, Calvin – so nicht kannten.

Während ein ausschließlich biblisch orientierter christlicher Glaube geschichtliche Entwicklungen immer an der biblischen Norm misst und von ihr her beurteilt, identifiziert der römisch-katholische Glaube das historisch Entstandene und Gewachsene einfach mit dem Willen Gottes. Der Katholik glaubt: So wie sich Lehre und Kult der Kirche über Jahrhunderte entwickelt haben, so hat es Gott auch gewollt. Wesentlich dazu beigetragen hat die Sicht vom sogenannten „Glaubensinstinkt“ der Kirche, die besagt, dass eine vorherrschende Lehre, die sich auch historisch durchzusetzen vermochte, zum authentischen kirchlichen Glaubensschatz gehöre.

Die Kirche nach dem Konzil von Trient: Der lange Weg ins ökumenische Zeitalter

Mit der Verwerfung der Reformation und der Durchführung verschiedener innerkirchlicher Reformen – etwa dem Verbot der Ablassprediger, der Reform der Bettelorden und der Residenzpflicht der Bischöfe – entstand die nachtridentinische Kirche, die „neue Pflanzung des Katholizismus.“...

Cookies helfen uns bei der Bereitstellung unserer Inhalte und Dienste. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu.
Unsere Datenschutzerklärung