Fundamentalismus

Fundamentalismus
Sind besonders gläubige Menschen eine Gefahr für die Gesellschaft?

Der Tag wird kommen, an dem Ihr alle hängen werdet“, schrieb ein evangelikaler Leser an den Redakteur einer Schülerzeitung. Das Blatt hatte sich kritisch mit der wachsenden Schar evangelikaler Christen in Deutschland auseinandergesetzt. Der Norddeutsche Rundfunk berichtete darüber. Diese inzwischen 1,3 Millionen bekennenden Christen seien nur scheinbar harmlos und friedlich, so das Resumé der Sendung Zapp. Zu den Evangelikalen zählen in Deutschland vorwiegend Baptisten, Pfingstler und Charismatiker, aber auch die pietistisch geprägten Entschiedenen Christen (EC) innerhalb der evangelischen Landeskirchen. Sie alle seien Fundamentalisten und entsprechend aggressiv und gefährlich. Sie kämpften gegen Homosexuelle und gegen Abtreibung, glaubten an eine buchstäbliche Schöpfung in sechs Tagen, an die Hölle, an die Prophetie und seien von der Irrtumslosigkeit der Bibel überzeugt.

Informierte Zeitgenossen gehen davon aus: Fundamentalisten bringen Flugzeuge zum Absturz und sprengen sich als Selbstmordattentäter in die Luft. Sie tun das im Namen Gottes, dessen Willen sie genau zu kennen meinen. Sie sind wissenschafts- und fortschrittsfeindlich und wollen unsere freiheitliche Demokratie durch einen religiös-totalitären Gottesstaat ersetzen. – Entsprechend negativ wird der Begriff besetzt. Er muss für ein diffuses Feindbild herhalten. Auch auf andere praktizierende Gläubige wird er mittlerweile angewendet, auf Christen, die an die Bibel im wörtlichen Sinne glauben. Sind alle diese Menschen tatsächlich eine Gefahr für die Menschheit, ähnlich gefährlich wie die islamistischen Gotteskrieger?

Der Begriff „Fundamentalismus“ hat im Laufe der Zeit einen Bedeutungswandel erfahren. Er wird auf unterschiedliche Gruppen gleichermaßen angewendet – oft recht undifferenziert. In seinem religionsübergreifenden allgemeinen Sinn bezeichnet er heute eine militante Form der Frömmigkeit. Man kann ihr in fast allen Religionen und religiösen Bewegungen begegnen. Weltweit trat dieses Phänomen vor allem im 20. Jahrhundert und zunehmend in den letzten 30 Jahren auf. Herausgefordert durch die Moderne und eine wachsende Säkularisierung der Gesellschaft wurde der Kampf gegen Wissenschaft, höhere Bildung, demokratische Reformen, wirtschaftlichen Fortschritt – oft auch gegen die Gleichstellung von Mann und Frau – immer aggressiver. Der Fundamentalist stützt sich dabei auf einen heiligen Text, den er für unfehlbar hält und dem er größte Autorität zuschreibt. Er will einen alten, von ihm idealisierten Zustand wieder herstellen. Und dabei „stören“ ihn die Errungenschaften der Wissenschaften. Auch in der Trennung von Staat und Religion sieht er ein entscheidendes Hindernis. Dieses gelte es aufzuheben. Er will einen sogenannten Gottesstaat. Da der Fundamentalist zutiefst davon überzeugt ist, dass seine Vorstellungen und sein Handeln mit dem Willen Gottes übereinstimmen, ist für ihn die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt. Er will seinem Gott auf Erden schon einmal unter die Arme greifen. Dabei setzt er voraus, dass Gott gewalttätig und grausam ist.

Der Begriff „Fundamentalismus“ ist eine Wortschöpfung aus dem 19. Jahrhundert. Im Gegensatz zu dem eingangs beschriebenen Wortverständnis wurde er anfangs nur auf Christen angewendet. Er verdankte seine Entstehung einem harmlosen Hintergrund...

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