Kein Protest?

Kein Protest?
Zur Selbstauflösung und Wiederauferstehung des Protestantismus

„Es gibt kaum noch einen Grund, Protestant zu sein“, erklärte Professor Eduard Kimman im Jahr 2008 in einem Interview gegenüber dem Journalisten Emiel Hakkenes. Kimman, katholischer Priester und Jesuit, war damals Generalsekretär der niederländischen Bischofskonferenz. „Ich bezweifele, dass es den Protestantismus im Jahr 2017 – 500 Jahre nach der Reformation – noch geben wird. Die Protestanten haben auf die Veränderungen in der katholischen Kirche nicht in angemessener Weise reagiert. Und sie haben nicht die Bedeutung einer sichtbaren und globalen Führungspersönlichkeit, wie der des Papstes, erkannt“, fuhr Kimman fort. „Manche Protestanten beschuldigen uns, dass wir unbeweglich sind; doch diese Beschuldigung kann man auch zurückgeben. Ich sehe die Protestanten als eine Aktionsgruppe, die vergessen hat, sich aufzulösen, nachdem sie ihr Ziel erreicht hat. Die römisch-katholische Kirche hat sich verändert. Die Protestanten sollten zur Mutterkirche zurückkehren. Wir brauchen einander, um unserer entchristlichten Welt gemeinsam die Bedeutung Jesu Christi zu verkündigen.“

In jüngerer Vergangenheit, nämlich am 21. Januar 2014, machte Tony Palmer, anglikanischer Bischof und verantwortlicher Verfechter der Ökumene, eine ähnliche Bemerkung. Anlass war eine Versammlung evangelikaler und charismatischer Geistlicher, veranstaltet von den Kenneth Copeland Ministries in Texas. Palmer behauptete, die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung über die Rechtfertigung durch den Lutherischen Weltbund und die katholische Kirche im Jahre 1999 habe „den Protest Luthers beendet“. Er fügte dann mit einem Lächeln hinzu: „Wenn es keinen Protest mehr gibt: Wie kann es dann noch eine protestantische Kirche geben?“ Bischof Palmer zeigte bei der Gelegenheit eine Videobotschaft von Papst Franziskus, die er einige Tage zuvor anlässlich einer Privataudienz bei dem „Pontifex“ mit seinem Handy aufgezeichnet hatte. „Liebe Brüder und Schwestern“, sagte der Papst, „Lasst uns zusammenkommen wie Josef und seine Brüder.“

Diese Entwicklungen zeigen, dass das Werk der ökumenischen Bewegung, die ja die volle Wiederherstellung der Einheit aller Christen zum Ziel hat, kurz vor dem Abschluss steht. Der Lutherische Weltbund und die katholische Kirche haben bereits ihre Absicht bekannt gegeben, das 500-jährige Jubiläum der Reformation im Jahr 2017 gemeinsam zu begehen. Bevor wir uns dieser Feier anschließen, wären wir gut beraten, uns die Frage zu stellen: Gibt es noch einen Grund, Protestant zu sein? Warum gab es überhaupt eine Reformation? Was genau bewegte Luther und andere Reformatoren zu ihrer Zeit? Warum protestieren die Protestanten heutzutage nicht mehr? Ist die Auflösung des Protestantismus unvermeidlich? Oder können wir – ganz im Gegenteil – davon ausgehen, dass es zu einer Wiederbelebung der protestantischen Prinzipien kommt – vielleicht sogar einer neuen Reformation? ...

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