Warum wir denken, wie wir denken

Warum wir denken, wie wir denken
Griechenland und sein Einfluss auf unsere Kultur – und unseren Glauben

Ein Experiment russischer Wissenschaftler macht deutlich, dass Denken nicht gleich Denken ist. In einem Landstrich Sibiriens teilten die Forscher einige Personen in drei Gruppen: Die ersten hatten keine Schulbildung. Die Personen der zweiten Gruppe waren einige Jahre zur Schule gegangen: Sie konnten etwas lesen und schreiben. Die Personen der dritten Gruppe hatten eine normale Schulbildung. Allen wurde die gleiche Frage gestellt: „Was für ein Mensch bist du?“ Die Antworten sagen uns etwas über die Art und Weise, wie wir Menschen denken.

Die Personen der ersten Gruppe antworteten typischerweise: „Ich habe eine Frau, drei Kinder, zwei Kühe, drei Schafe und einige Hühner. Das bin ich.“ Die Personen der zweiten Gruppe antworteten: „Ich bin ein guter Mensch, denn ich trinke nur wenig Wodka und schlage meine Frau nicht.“ Und die Personen der Gruppe mit normaler Schulbildung antworteten: „Ich bin nachdenklich, feinfühlig, manchmal zu pessimistisch.“ Oder: „Ich bin abenteuerlustig, entscheidungsfreudig und liebe das Risiko.“ Oder: „Ich bin eigentlich ganz umgänglich, aber ein fauler Hund.“

Auch bei uns gibt es Menschen, die so denken wie die Personen der ersten Gruppe: Ich bin, was ich habe! Obwohl wir eine gute Schulbildung genossen haben, fallen wir bisweilen in diese einfache Art des Denkens zurück – etwa auf der Straße: Ich bin mein Audi, mein Mercedes, mein BMW. Ich bin, was ich habe.

Wir erinnern uns noch an die Fernsehwerbung: Da trifft ein Mann einen alten Schulfreund und gibt mit seinen Besitztümern an. Stolz blättert er einige Fotos auf den Tisch: „Mein Haus, mein Auto, meine Yacht!“ Und dann kontert sein Gegenüber mit Bildern von einem noch größeren Haus, einem noch teureren Wagen und einer noch protzigeren Yacht. Ich bin, was ich habe. Man kann dies als Beleg für eine primitive Denkweise werten.

Die Sibirier der zweiten Gruppe dachten schon ein wenig tiefer. Sie schauten nicht nur auf das, was sie hatten, sondern betrachteten ihr Verhalten. Und das beurteilten sie nach Gut und Böse. Auch dieses Denken ist noch einfach, denn außer Gut und Böse gibt es ja noch andere Eigenschaften, die ein Mensch besitzen kann. Die Personen der dritten Gruppe, also die mit einer normalen Schulbildung, antworteten, wie es die meisten von uns auch tun würden.

Warum denken wir, wie wir denken? Das sibirische Experiment lässt erahnen, dass es etwas mit Bildung zu tun hat. Und das ist richtig. Tatsächlich haben uns unsere Lehrerinnen und Lehrer mehr geprägt als uns manchmal bewusst ist.

Es ist das Denken, das uns Menschen von den Tieren unterscheidet. Es hebt uns wie nichts anderes über sie hinaus. Aber Denken und Denken ist nicht das Gleiche. Meistens meinen wir, unser Denken sei richtig – vielleicht sogar die einzige Art zu denken. Doch Menschen in anderen Kulturen denken ganz anders als wir. Auch sie meinen, dass ihr Denken richtig sei.

Aber damit noch nicht genug: Es gibt sogar Unterschiede innerhalb unseres Kulturkreises. Jeder hat bestimmte individuelle Gewohnheiten, Meinungen und Eigenheiten. Oft haben wir sie von unseren Eltern, unseren Lehrern und anderen uns nahestehenden Personen übernommen. Es kann natürlich auch sein, dass wir uns gegenüber unseren Eltern aufgelehnt und aus Protest eigene Lebensgewohnheiten und Einstellungen entwickelt haben.

Beim Denken geht es jedoch nicht nur um bestimmte Vorstellungen, Verhaltensmuster oder Ansichten. Das Thema ist komplexer. Es geht auch um das Denken selbst, d. h., die Art und Weise, wie wir denken. Also nochmals: Warum denken wir, wie wir denken?

Untersuchungen haben gezeigt, dass Teenager nur wenige Minuten am Tag mit ihren Eltern reden – dabei mit ihrer Mutter einige Minuten mehr als mit ihrem Vater. Wenn die Kommunikation zwischen den Generationen so kurz ist, stellt sich die Frage: Wie viel Einfluss haben Eltern noch auf ihre Kinder? Wie sehr können sie ihr Denken, ihr Verhalten und ihre Werte prägen? Diese Tatsache macht deutlich: Der Einfluss der Schule auf unsere Kinder ist größer als die meisten ahnen.

Was viele angesichts der heute üblichen Negativschlagzeilen über Griechenland überraschen mag: Unsere Schulbildung ist stark vom griechischen Denken und der griechischen Philosophie geprägt – und das, obwohl die Zeit der großen griechischen Denker weit zurückliegt. Das ist nicht erst ein Phänomen unserer Tage. Schon die Römer wurden von ihnen beeinflusst. Wohlhabende Römer kauften sich gewöhnlich einen gebildeten Sklaven für die Erziehung ihrer Söhne. Das war in der Regel ein Grieche. Dieser sollte dem Spross alles beibringen, was er für seine Bildung brauchte. Einen solchen Lehrer bezeichnete man als „Paidagogos“. Daher kommt unser Begriff „Pädagoge“. Wörtlich übersetzt bedeutet das „Jungenführer“. Der Paidagogos führte das Kind bis zu seiner Volljährigkeit.

Die griechische Erziehung und Bildung gab dem Denken der Römer eine griechische Prägung. Auch das Christentum erhielt eine griechische Prägung. Die Kirche „dachte“ griechisch und übte so einen stark griechischen Einfluss auf die Bildung der Menschen aus...

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