Kirchenspalter wider Willen

Kirchenspalter wider Willen
Vom Mönch zum Reformator

Wir schreiben das Jahr 1520. Ende November stimmt Kaiser Karl V., auf Betreiben von Friedrich dem Weisen, zu, dass Luther eine anständige Anhörung zusteht. Laut einer neuen Verfügung darf niemand ungehört verurteilt werden – entgegen dem 300 Jahre gültigen Staatsgesetz, nach dem ein vom Papst Gebannter ohne Untersuchung in Reichsacht gesetzt werden muss. Die Kirche will Luther weniger verhören als ihn vielmehr aus dem Weg räumen und ist darum bemüht, kein großes Aufsehen zu machen. Und nun wird Luther vorgeladen und darf im April 1521 auf dem Reichstag zu Worms sprechen. Die Fürsten des Reiches – der Kurfürstenrat, der Reichsfürstenrat und der Städterat – sind also versammelt, um über Aktuelles und Wichtiges zu entscheiden. So will man sich unter anderem mit der Bannandrohungsbulle von Leo X., die eine Reaktion auf Luthers 95 Thesen ist, mit großen reichspolitischen Fragen der Zeit, der Glaubensfrage und mit Luther selbst befassen.

„Erhabenster Herr und Kaiser, durchlauchtigste Fürsten, gnädigste Herren!“ So beginnt Luther seine Ausführungen. „Zu der mir gestern Nachmittag festgesetzten Zeit erscheine ich gehorsam und bitte um der Barmherzigkeit Gottes willen, Eure Majestät und Eure Herrschaften wollen geruhen, diese Sache der (wie ich hoffe) Gerechtigkeit und Wahrheit gnädig anzuhören, und es mir gütig nachsehen, wenn ich aus meiner Unerfahrenheit jemandem den gebührenden Titel nicht gebe oder auf irgendeine Weise gegen höfischen Brauch und Verhalten verstoße.“1

Im weiteren Verlauf antwortet Luther auf die ihm am vorangegangenen Tag gestellten Fragen, ob die Schriften von ihm seien und er sie weiterhin vertrete oder widerrufe. Es wäre wohl den Fürsten und den Vertretern der Kirche lieber, Luther würde hier mit einem klaren „Ja“ oder „Nein“ antworten – am liebsten soll er einfach nur widerrufen. Doch Luther macht es sich und seinen Zuhörern nicht ganz so einfach. In bedachter und überlegter Weise führt er auf, was seine Antwort für weitreichende Konsequenzen hat:

„In einigen von ihnen [Schriften] habe ich von Glauben und Sitten so einfältig und evangelisch gehandelt, dass selbst die Gegner zugeben müssen, dass sie nützlich, unschädlich und der Lektüre durch die Christen wert sind. Sogar die harte und grausame Bulle hält einige meiner Schriften für unschädlich, wenngleich sie mit wahrhaft ungeheuerlichem Urteil auch diese verurteilt. Widerrufe ich also diese Schriften, so verurteile ich als einziger Sterblicher die Wahrheit, die Freunde und Feinde gleichermaßen bekennen, und widerstrebe als Einziger dem einhelligen Bekenntnis aller.“2

Luthers Antwort fällt sehr ausführlich aus und beeindruckt die Anwesenden wohl mehr, als dem Kaiser und der Kirche lieb ist. In den zitierten Zeilen wird deutlich, dass Luther keinerlei Interesse hat, einen Krieg anzuzetteln bzw. einen Aufruhr zu starten. Vielmehr fühlt er sich der (biblischen) Wahrheit verpflichtet und verschreibt sich ihr, wobei er zugibt, dass das Schwert des Wortes Gottes zuweilen auch zu Zwietracht führen kann. Luther verkündet das Wort Gottes als Prüfstein und Ausrichtung – als Maßstab aller Dinge. Was aber, wenn diesem Maßstab keine Beachtung mehr geschenkt wird? Die fatalen Folgen zu verhindern und die Menschen aufzuklären – dazu fühlt sich Luther gedrängt.

Luthers Umfeld

Was aber berechtigte Luther zu einem solchen Wirbel? War er selbst doch nur ein kleiner Mönch und maßte sich an, gegen Rom selbst den Finger zu erheben? War die Kirche erneuerungsbedürftig? Was war im Laufe der Jahrhunderte, seit Jesus seinen Jüngern gebot, das Evangelium – die Kunde von der frohen Botschaft – zu verkündigen, geschehen? In der mittelalterlichen Kirche fand sich wohl kaum noch „frohe Botschaft“.

Die aufblühende Geldwirtschaft und der rege Handel führten zu einer sich ausbreitenden Stadtkultur. Die Gelder, die erwirtschaftet wurden, blieben häufig in den Händen einzelner Familien, während das „Volk“ zunehmend verarmte. Die Bauern sahen nicht nur im Adel, sondern auch in den Geistlichen ihre Bedrücker – häuften doch auch die Kirche bzw. deren Vertreter Reichtümer an. Eine Wut staute sich in der Bevölkerung gleich einem Pulverfass an und legte damit die Lunte für einen gesellschaftlichen Wandel, in der die Reformation willkommen geheißen wurde.

Papst Leo X. war ein Genussmensch. Den religiösen Herausforderungen seiner Zeit war er nicht im Geringsten gewachsen, den geistlichen Bedürfnissen der Menschen hatte er nichts zu bieten. Seinem Geheimschreiber gegenüber soll er einmal geäußert haben: „Die Fabel von Christus ist uns sehr einträglich gewesen.“3

Kunst und Wissenschaft wurden gefördert, doch wurden Unmengen an Geld verschlungen, und dem eigentlichen Auftrag der Kirche kam man nicht nach. Dem eigenen Selbstverständnis der Kirche, Gottes Vertretung auf Erden zu sein, wurde nicht Rechnung getragen. Statt für die Armen einzustehen und sich ihrer anzunehmen, häufte die Kirche nur noch mehr Reichtümer an und gab sich fast völlig der Genusssucht hin.

Entsprechend dem ihm vermittelten Gottesbild glaubte Luther damals, dass dieser ihm ständig seine Sünde vorhielt und ihn trotz all seiner Bußübungen im Unfrieden zurückließ. Seine Suche nach Antworten führte ihn tiefer ins Studium des Wortes Gottes. Dabei entdeckte er diese verloren gegangene frohe Botschaft. Dies war freilich ein Prozess und wurde von ihm nicht von einem auf den anderen Moment entdeckt. Doch angesichts der Dinge, die sich um ihn herum abspielten, sah er schon bald einen Kontrast zwischen dem, was er las und was die Kirche veranstaltete.

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