Der Aussteiger

Der Aussteiger
Karriere zwischen Himmel und Höhle

Kann ein Dreizehnjähriger so verzweifelt sein, dass er sich das Leben nehmen will? Doug war es. Er stand auf dem Dach eines Hochhauses und schaute hinunter auf das geschäftige Treiben New Yorks. Seine Zehen ragten über die Kante des Mauervorsprungs. Er lehnte sich vor in der Hoffnung, von der nächsten Windböe hinuntergestoßen zu werden, um nicht selbst springen zu müssen. Während er noch zögerte, schoss ihm durch den Kopf, dass vor kurzem ein Mann in einer ähnlichen Situation mit schwersten Verletzungen überlebt hatte. Das wollte er auf keinen Fall! Er wollte tot sein und nicht als Krüppel weiterleben! Frustriert kletterte er zurück. Er nahm sich vor, sein Leben nicht mit einem Winseln, sondern mit einem Knall zu beenden.

Sein Leben war ein einziges Chaos. In der Schule lief alles schief. Die Zeugnisse waren eine Katastrophe und ständig war er in Schlägereien verwickelt. Doch sein ganzes rebellisches Verhalten war nichts anderes als ein Schrei nach Liebe. Durch die unmöglichsten Eskapaden versuchte er, Aufmerksamkeit zu erlangen, besonders von seinen vielbeschäftigten Eltern. Wiederholt lief er von Zuhause fort und einige Male saß er sogar im Gefängnis.

Schon einmal hatte er versucht, eine Überdosis Valium zu schlucken. Doug quälten Fragen nach dem Sinn des Lebens: Woher komme ich? Warum bin ich hier? Wohin gehe ich? Seine Lehrer hatten ihm erzählt, das Universum sei nichts anderes als der Rülpser eines Zufalls. Er selbst sei ein überentwickelter Affe und nach dem Tod verfaule er einfach nur.

Das Leben schien ihm nicht lebenswert. Dabei lag ihm alles zu Füßen, wovon ein Teenager nur träumen konnte: Sein Vater war Multimillionär, seine Mutter bildschön und im Showbusiness. Sie schrieb Songs für Elvis und ging bei den Berühmtheiten Hollywoods ein und aus. Auch für Doug und seinen Bruder Falcon waren die Stars gute Bekannte. Paul Newman, Clint Eastwood, Dustin Hoffman, Mohammed Ali: Sie alle waren Freunde ihrer Mutter. Schön, reich und berühmt zu sein: Das wollte doch jeder. Dougs Eltern waren es. Und doch erlebte Doug aus erster Hand, dass diese Dinge nicht wirklich glücklich machen. Viele der Stars dieser Glitzerwelt waren alkohol- und drogenabhängig und alles andere als glücklich. Hinter einer schillernden Fassade waren sie schrecklich einsam.

Dougs Eltern hatten sich scheiden lassen, als er noch klein war, und jeder suchte für sich nach dem Kick, der die innere Leere füllen sollte. Sein Vater war ganz auf seine Karriere fixiert. Zu seinem Business- Imperium gehörten zwei Fluggesellschaften und einige Flugzeugwerke. Er besaß einen Privatjet, eine Traumyacht, einen Rolls-Royce und eigenes Sicherheitspersonal. In seiner Freizeit fuhr er Autorennen und betrieb andere teure Sportarten. Seine Villa lag auf einer Insel vor Florida, auf der nur ausgewählte Personen Zutritt haben. Aber irgendwie schien er nicht glücklich zu sein, sondern wirkte getrieben und abhängig. Privat stolperte er von einer Ehe in die nächste; Alkohol war sein steter Begleiter. Doug war blitzgescheit und durchschaute schon früh das Hamsterrad der Erwachsenen. Er wusste, dass weder Geld noch Ruhm die Befriedigung bringen, nach der jeder Mensch sucht. Aber was war es dann? Schon in jungen Jahren begann er mit seiner Suche nach dem wahren Glück – jenem Glück, das einem nicht wieder durch die Finger gleitet.

Als er elf war und seine Probleme in der Schule wieder einmal die Schmerzgrenze erreicht hatten, schickten ihn seine Eltern auf eine Militärakademie. Seine Mutter ließ die Wahl der Schule durch ihr Ouija-Brett bestätigen. Sie war zwar jüdisch aufgewachsen, interessierte sich aber mehr für das Okkulte. Sie hielt sogar Séancen bei sich zuhause ab, auf denen die „Geister der Verstorbenen“ befragt wurden. Erst später lernte Doug, dass Tote nichts wissen und bei den Séancen in Wirklichkeit Dämonen am Werk seien.

Auf der Militärakademie war jede auch noch so kleine Kleinigkeit durch Vorschriften geregelt, selbst in welcher Breite und Länge die Unterwäsche zusammengefaltet sein musste. Kleine Vergehen wurden hart bestraft. Einmal prügelte ihn der Lehrer, ein hartgesottener Militäroffizier, mit seinem haken- und ösenbesetzten Gürtel so heftig, dass Doug mitsamt dem Tisch quer durch den Raum flog. Die älteren Kameraden demütigten ihn als Neuankömmling, wo sie nur konnten.

Doug passte sich jedoch schnell den Gegebenheiten an. Angesichts des festen Rahmens für sein Leben blühte er regelrecht auf. Seine Schulnoten waren ausgezeichnet, und in mehreren Sportarten gehörte er zu den Besten. Erfolg war für ihn etwas ganz Neues! Im darauffolgenden Jahr wurde er von einem Extrem ins andere geworfen. Nach einem erneuten Ausriss glaubten seine ratlosen Eltern, das Allheilmittel gefunden zu haben: Pinehinge war ein Versuchsprojekt, eine „Freie Schule“ in Maine. Die Philosophie dieser Schule war, dass Kinder nur die Dinge lernen, die ihnen wichtig sind. Völlige Freiheit: Das klang verlockend. Tatsächlich war die Schule noch „freier“, als man vermutet hätte. Die Lehrer waren coole Hippies, deren Devise „laissezfaire“ hieß. Es gab nur drei Regeln, die jedoch jeder geflissentlich ignorierte: Keine Drogen, kein Sex, keine Schlägereien.

Die Wohnheime und Zimmer waren nicht nach Geschlechtern getrennt. Man brauchte morgens nicht aufzustehen, wenn man nicht wollte und auch nicht zum Unterricht oder zum Essen gehen. Den Schülern war gesagt worden, dass sie alles lernen konnten, was sie wollten. Und das taten sie auch. Sie lernten, wie man Kleber schnüffelt und wie man Bier und LSD herstellt. Während des Unterrichts wurde geraucht – sogar Marihuana. Und auch in die höhere Kunst des Einbrechens wurde Doug von einigen seiner Mitschüler eingeführt.

Ein Kursangebot allerdings interessierte ihn wirklich: die Silva- Bewusstseinskontrolle. „Lerne, wie du bei der Lotterie gewinnst, wie du Menschen heilen und Dinge passieren lassen kannst und wie du Kontrolle über dein Leben hast.“ Ihm wurde gesagt, der Mensch selbst sei Gott. Mithilfe seiner göttlichen Kraft könne er alles bewirken, was er wolle. Er lernte, wie man durch eine Art Selbsthypnose einen veränderten Bewusstseinszustand, den Alphaoder Theta-Level, erreicht. Tatsächlich geschahen unglaubliche Dinge. Allen Beteiligten war klar, dass hier eine übernatürliche Macht am Werke war. Doug kannte die Bibel nicht und hatte keine Ahnung, dass er sich hier tatsächlich unter die Herrschaft satanischer Mächte begab.

Doch all die Freiheiten in dieser Schule machten Doug nicht glücklich. Im Nachhinein war es eines seiner unglücklichsten Jahre. Er konnte keinen Sinn in seinem Leben erkennen. In der strengen Militärschule mit all ihren Vorschriften war er deutlich glücklicher gewesen als in der freien Schule, in der es keine Regeln gab...

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