Das Ende des Protests

Das Ende des Protests
Die Trennung überwinden?

Während meiner Gymnasialzeit stand eines Jahres beim traditionellen Weihnachtskonzert für unser Vokalensemble Mozarts wohlklingende Missa brevis in G (KV 49) auf dem Programm. Ich machte mir damals keinerlei Gedanken, ob ich als bekennendes Mitglied einer protestantischen Freikirche den Messetext singen kann. Später, als ich mein Theologiestudium an einem Seminar meiner Freikirche aufnahm, erhielt ich von einer guten Freundin, die einen römisch-katholischen Kirchenchor dirigierte, eine Anfrage, als Solist bei der Weihnachtsmesse zu singen. Dieses Mal machte ich mir mehr Gedanken. Kann ich mit gutem Gewissen den Messetext singen? Beim Überfliegen des Textes fiel mir auf, dass die Worte et unam, sanctam, catholicam et apostolicam ecclesiam des Credos problematisch sein könnten. Meine Frage war: Glaube ich, dass es nur eine, heilige, katholische und apostolische Kirche gibt?

Einheit als biblisches Ideal der Kirche Gottes

Ich begab mich auf die Suche nach der Bedeutung dieser Worte, die vermutlich schon im Jahre 381 n. Chr. im Rahmen des Konzils von Konstantinopel als das Nizäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis der Christen formuliert wurden. Mit dem Wort ecclesia ist die Kirche gemeint. Sancta bedeutet heilig. Ich fand heraus, dass sowohl Gottes Volk im Alten Testament als auch Gottes Gemeinde im Neuen Testament als heilig bezeichnet werden (z. B. 3. Mose 19,2; 1. Korinther 1,2). Das lateinische Adjektiv catholicus stammt vom gleichklingenden griechischen Wort katholikos, was so viel bedeutet wie universal, allgemein. Die Bibel zeigt, dass idealerweise beide, das Volk Gottes des Alten Testaments wie auch die Gemeinde Gottes des Neuen Testaments, universale, weltweite Ausbreitung erfahren sollten (z. B. 1. Mose 12,1–3; Jesaja 2,1–5; Matthäus 28,18–20; Apostelgeschichte 1,8). Der Begriff apostolica kommt ursprünglich wiederum aus dem Griechischen und wird vom Verb aussenden abgeleitet. Ein Apostel, wie man ihn aus dem Neuen Testament kennt, ist ein Botschafter. Die apostolische Kirche ist demzufolge eine Kirche, welche die Botschaft der Apostel, das Evangelium, weiterverkündigt (Apostelgeschichte 2,42; Epheser 2,20). (Diese Erklärung entspricht der protestantischen Sichtweise des Begriffs apostolica. Andere christliche Kirchen, vor allem die römisch-katholische Kirche, verstehen unter diesem Begriff einen Hinweis auf die apostolische Sukzession. Darunter ist das ununterbrochene Weitergeben der kirchlichen Autorität von einem der Apostel bis zur gegenwärtigen Kirchenleitung zu verstehen.) Die Frage, die noch zu beantworten blieb, betraf das Wort una, was eine bedeutet. Gibt es aus biblischer Sicht mehrere Kirchen Gottes oder wirklich nur die eine?

Die biblischen Schreiber vertraten tatsächlich die Sichtweise, dass es nur eine Gemeinde Gottes gibt. Dies wird ersichtlich an den über neunzig verschiedenen Bildern, die sie gebrauchen, um das Konzept der Kirche Gottes auf verschiedene Art und Weise zu illustrieren.1 Zu den bekanntesten gehört das Bild der Herde Gottes. Gleich mehrere biblische Autoren verwenden dieses Bild (Johannes 10,1–18; Apostelgeschichte 20,28– 29; 1. Petrus 5,2–3; vgl. Lukas 15,3–7). Dabei fällt auf, dass nicht von mehreren Herden die Rede ist, sondern nur von einer. Ein genauso geläufiges Bild ist der menschliche Körper. In verschiedenen Briefen arbeitet der Apostel Paulus sorgfältig die Parallelen zwischen dem menschlichen Körper und der Gemeinde Gottes heraus (Römer 12,3–8; 1. Korinther 12,12–31; Epheser 4,1–6; 5,21–24; Kolosser 1,18). Auch hier gilt, dass es trotz vieler Körperteile nur einen Körper gibt. In der Offenbarung gebraucht Johannes ein sehr ähnliches Bild, indem er die Gemeinde mit einer Frau (Offenbarung 12,1) und später mit der Braut des Lammes (Jesus) vergleicht (Offenbarung 21,9). Auch hier hat das Lamm nicht mehrere Bräute, sondern nur eine. Die Idee der einen Kirche Gottes ist allerdings keine Erfindung des Neuen Testaments, sondern findet sich bereits im Alten Testament. Gott erwählte sich schon damals ein einziges Volk als sein Eigentum – die Israeliten (2. Mose 19,5–6).

Meine kleine Studie ergab, dass et unam, sanctam, catholicam et apostolicam ecclesiam nicht zwingend die römisch- katholische Kirche als alleinig legitime Kirche beschreibt, sondern genauso gut als Zusammenfassung des biblischen Konzepts der Kirche verstanden werden kann. Diese Erkenntnis warf in mir jedoch noch andere Fragen bezüglich der Einheit der Christenheit auf.

Die eindeutige Ausgangslage, dass es gemäß der Bibel nur eine Gemeinde Gottes gibt, stellte das Christentum schon von Anfang an vor größte Probleme. Spätestens seit der Eroberung Palästinas durch die Araber (637 n. Chr.)2 und später dann durch das morgenländische Schisma (1054)3, die Reformation (1517) und die Abspaltung der anglikanischen Kirche (1531) ist es aber um die Einheit der Kirche Gottes geschehen. Unzählige weitere Spaltungen innerhalb der entstandenen Kirchen, motiviert durch das anhaltende Bedürfnis, den christlichen Glauben so genau wie möglich nach Gottes Willen auszurichten, führten schließlich dazu, dass das Christentum mit seinen aktuell mehr als 46.000 Denominationen und 4.609.000 selbstständigen Kirchengemeinden (Stand Mitte 2016)4 im offensichtlichen Widerspruch zum biblischen Ideal lebt.

Die Geschichte zeigt, dass zahlreiche Bemühungen unternommen wurden, die Einheit innerhalb des Christentums wiederherzustellen. Leider hat sich die Christenheit dabei mehr mit Blut als mit Ruhm bekleckert.

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