Reformation auf der Intensivstation

Reformation auf der Intensivstation
Reanimation oder Sterbebegleitung?

Die Publicity rund um das 500-jährige Jubiläum des Anschlags der 95 Thesen durch Luther ist enorm. Warum eigentlich? Identifiziert sich die protestantische Welt heute noch mit den Ereignissen und Zielen der revolutionären protestantischen Bewegung? Oder hat sie längst in den Rückwärtsgang geschaltet und distanziert sich „peinlich berührt“ von dem damaligen Verständnis? Die Entwicklungen innerhalb der kirchlichen Welt scheinen – wenn auch nicht auf eine vollständige Selbstauflösung des Protestantismus – doch auf eine Drehung um 180 Grad hinauszulaufen, bei der unter einer veränderten Agenda die Wiedervereinigung mit genau der kirchlichen Institution angestrebt wird, deren unbiblische Lehren einst der Auslöser der Reformation waren.

„Es gibt kaum noch einen Grund, Protestant zu sein“, erklärte Professor Eduard Kimman im Jahr 2008 in einem Interview gegenüber dem Journalisten Emiel Hakkenes. Kimman, katholischer Priester und Jesuit, war damals Generalsekretär der niederländischen Bischofskonferenz. „Ich bezweifle, dass es den Protestantismus im Jahr 2017 – 500 Jahre nach der Reformation – noch geben wird. Die Protestanten haben auf die Veränderungen in der katholischen Kirche nicht in angemessener Weise reagiert. Und sie haben nicht die Bedeutung einer sichtbaren und globalen Führungspersönlichkeit, wie der des Papstes, erkannt“, fuhr Kimman fort. „Manche Protestanten beschuldigen uns, dass wir unbeweglich sind; doch diese Beschuldigung kann man auch zurückgeben. Ich sehe die Protestanten als eine Aktionsgruppe, die vergessen hat, sich aufzulösen, nachdem sie ihr Ziel erreicht hat. Die römisch-katholische Kirche hat sich verändert. Die Protestanten sollten zur Mutterkirche zurückkehren. Wir brauchen einander, um unserer entchristlichten Welt gemeinsam die Bedeutung Jesu Christi zu verkündigen.“

In jüngerer Vergangenheit, nämlich am 21. Januar 2014, machte Tony Palmer, anglikanischer Bischof und verantwortlicher Verfechter der Ökumene, eine ähnliche Bemerkung. Anlass war eine Versammlung evangelikaler und charismatischer Geistlicher, veranstaltet von den Kenneth Copeland Ministries in Texas. Palmer behauptete, die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung über die Rechtfertigung durch den Lutherischen Weltbund und die katholische Kirche im Jahre 1999 habe „den Protest Luthers beendet“. Er fügte dann mit einem Lächeln hinzu: „Wenn es keinen Protest mehr gibt: Wie kann es dann noch eine protestantische Kirche geben?“ Bischof Palmer zeigte bei der Gelegenheit eine Videobotschaft von Papst Franziskus, die er einige Tage zuvor anlässlich einer Privataudienz bei dem „Pontifex“ mit seinem Handy aufgezeichnet hatte. „Liebe Brüder und Schwestern“, sagte der Papst, „lasst uns zusammenkommen wie Josef und seine Brüder.“

Diese Entwicklungen zeigen, dass das Werk der ökumenischen Bewegung, die ja die volle Wiederherstellung der Einheit aller Christen zum Ziel hat, kurz vor dem Abschluss steht. Der Lutherische Weltbund und die katholische Kirche beschlossen, das 500-jährige Jubiläum der Reformation im Jahr 2017 gemeinsam zu begehen. Besonders in Deutschland, dem Land der Reformation, wird diese neue Art der Jubiläumsfeier, die als ein Ende der Abgrenzung der Konfessionen bezeichnet wird, begeistert in die Tat umgesetzt. Neben vielen weiteren gemeinsamen Veranstaltungen sagt der im März 2017 begangene Versöhnungsgottesdienst zwischen der EKD und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz dazu schon alles. Unweigerlich drängt sich hier die Frage auf: Gibt es noch einen Grund, Protestant zu sein? Warum gab es überhaupt eine Reformation? Was genau bewegte Luther und andere Reformatoren zu ihrer Zeit? Warum protestieren die Protestanten heutzutage nicht mehr? Ist die Auflösung des Protestantismus unvermeidlich? Oder können wir – ganz im Gegenteil – davon ausgehen, dass es zu einer Wiederbelebung der protestantischen Prinzipien kommt – vielleicht sogar einer neuen Reformation?

Die Reformation

Um diese Fragen zu beantworten, sollten wir uns kurz die Geschichte des Protestantismus von ihren Anfängen bis heute ansehen. Nach dem Tod der 12 Apostel führten sogenannte Kirchenväter eine Vielzahl unbiblischer Lehren und Praktiken in der Kirche ein. Dies führte zu einem allmählichen Abweichen von dem Glauben der Apostel. Dieser Abfall der Kirche beschleunigte sich, als die christlichen Bischöfe dem römischen Kaiser Konstantin die Hand reichten. Dieser vertrat nämlich einen religiösen Synkretismus zwischen Christentum und Heidentum, der bis in die heutige Zeit reicht. Mit der Zeit vermischte sich die christliche Lehre mit der Philosophie des Aristoteles. Heidnische Götzen wurden in Heilige und Märtyrer umbenannt, und heidnische Rituale und Zeremonien wurden mit biblischer Sprache umhüllt. Die katholische Religion wurde mit Hilfe des Staates durchgesetzt, was die Menschen im Mittelalter ihrer bürgerlichen und religiösen Freiheiten beraubte. Das Lesen der Bibel in der Sprache des Volkes war verboten, und überall verbreiteten sich kirchliche Tradition und Aberglaube. Die Priester beherrschten das Gewissen der Menschen, und sogenannte Ketzer oder Irrlehrer wurden vor die Inquisition gezerrt, gefoltert, aus ihren Heimen vertrieben, ihrer Besitztümer beraubt, in Verliese geworfen und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

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