Die Entstehung der kirchlichen Sonntagsfeier
Wird eine alte Frage wieder aktuell?
Wir leben in einem freien Europa. Warum können Ladenbesitzer ihre Geschäfte nicht öffnen, wann immer sie wollen? In den USA geht das doch auch!“ Das sind Aussagen, die man nicht nur an Stammtischen hört. Die Antwort mag nicht alle befriedigen: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ So heißt es nämlich in Artikel 139 des deutschen Grundgesetzes. Ladenbesitzer – und nicht nur sie – haben im Laufe der Zeit immer wieder versucht, die Sonntagsruhe auszuhöhlen. Entsprechend entstanden auf Länderebene liberale Ladenöffnungsgesetze – so etwa im Jahr 2006 in Berlin. Dieses Gesetz hatte jedoch nicht lange Bestand: Schon am 1. Dezember 2009 wurde es vom Bundesverfassungsgericht gekippt.
Dennoch: Der Druck auf die Politik und die Gerichtsbarkeit des Landes vonseiten der Industrie, des Handels und nicht zuletzt einer kauffreudigen säkularen Bevölkerung, die auch am Sonntag shoppen möchte, ist weiterhin groß.
Doch nun gibt es eine Gegenbewegung: Am 20. Juni 2011 schlossen sich 65 gesellschaftliche Einrichtungen auf europäischer Ebene zusammen und gründeten in Brüssel die „Europäische Sonntags-Allianz“ – unter ihnen Gewerkschaften, Kirchen und Sozialverbände. Unterstützt wird die Initiative auch von einigen EU-Parlamentariern. Man will „den Sonntag als arbeitsfreien Tag in der EU-Arbeitszeitrichtlinie … verankern.“ Auch wenn eher soziale Aspekte wie der Schutz der Familie („Am Sonntag gehört Vati uns“) im Vordergrund stehen: Die Kirchen unterstützen das Vorhaben besonders stark. In seinem apostolischen Schreiben Dies Domini betonte Papst Johannes Paul II. schon 1998 die Heiligkeit des Sonntags. Auch Papst Benedikt XVI. betonte am 13. Mai 2007: „Wir müssen die Christen dazu motivieren, dass sie aktiv und, wenn möglich, am besten mit der Familie an … [der Hl. Messe] teilnehmen.“
In einer Gesellschaft, die dazu neigt, alles in Frage zu stellen – und das betrifft ganz besonders kirchliche Traditionen –, scheint es angebracht, nach den Wurzeln der Sonntagsfeier zu fragen. Immerhin könnte man sich ja auch darauf einigen, den Dienstag oder den Donnerstag per Gesetz als „arbeitsfreie Zone“ zu erklären. Warum soll es also gerade der Sonntag sein?
Um die Wurzeln dieser kirchlichen Tradition zu ergründen, müssen wir zur Schöpfung zurückkehren. Zwar ist der Ursprung der Woche als Zeiteinheit in der außerbiblischen Forschung ungeklärt, doch nach biblischer Sicht geht die Wocheneinteilung und damit der wöchentliche Feiertag auf die Schöpfung zurück. Im ersten Buch der Bibel heißt es: „So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer. Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.“ (1. Mose 2,1-3) Diese Schöpfungstat ist dann auch die Grundlage für das vierte der Zehn Gebote (biblische Zählweise), das Gebot des Ruhetages. Der siebte Tag der Woche, der Sabbat, unser heutiger Samstag, erhielt als Gedenktag den besonderen Segen Gottes. Die Sieben-Tage-Woche ist nicht nur tief im Judentum, sondern auch im Christentum und sogar im Islam verankert.
Die ersten Christen waren allesamt Juden. Für sie war das, was wir als Altes Testament bezeichnen, heilige Schrift – und das ist, zumindest theoretisch, bis heute so. Auch nach Jesu Tod und Auferstehung hielten die ersten Christen an der jüdischchristlichen Feiertagspraxis fest. Der Sabbat der Zehn Gebote hatte schon im Leben Jesu, bei den Aposteln und bei den ersten Christen eine so selbstverständliche Rolle gespielt, dass eine eventuelle Veränderung der Feiertagspraxis überhaupt nicht zur Diskussion stand. Deshalb gibt es auch keine Streitgespräche diesbezüglich in den Schriften des Neuen Testaments – auch nicht, als mehr und mehr Christen aus dem sogenannten Heidentum kamen. Man stritt über die Beschneidung, nicht aber über den Sabbat. Immerhin waren die Zehn Gebote einschließlich des Sabbats von Gott mit dem eigenen Finger geschrieben worden. Das hatte Gewicht. Und es stellte auch niemand die anderen neun Gebote in Frage. Jesus hatte zwar Korrekturen an einer falsch verstandenen jüdischen Form der Sabbatruhe geübt, nicht aber das Sabbatgebot selbst geändert oder eine spätere Veränderung angekündigt.
In der Apostelgeschichte ist aufgezeichnet, wie das Evangelium langsam von Jerusalem aus in die ganze damalige Welt getragen wurde. Bald finden wir christliche Gemeinden, die nur noch aus dem Heidentum kamen. Sie alle feierten den Samstag als Ruhetag. Doch irgendwann in den ersten Jahrhunderten änderte sich dies. Der Sonntag wurde allmählich eingeführt – erst zusätzlich zum Sabbat, dann anstelle des Sabbats. Wie kam es dazu?...