Der Seelenplünderer

Der Seelenplünderer
Wie wir uns vom Fernsehen verführen lassen

Nach den Enthüllungen des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden ging ein Aufschrei durch die westliche Welt. Einige Regierungen bestellten den amerikanischen Botschafter ihres Landes ein; Staatschefs griffen zum Hörer, um sich im Weißen Haus zu beschweren: So könne man nicht mit Freunden umgehen. Der Gedanke, dass „Big Brother“, der große amerikanische Bruder, alles über uns weiß oder zumindest wissen könnte, ist beunruhigend. Die modernen elektronischen Medien machen es möglich. Und wir scheinen längst nicht am Ende der Möglichkeiten zu sein. Jeden Tag wird die vor einigen Jahren noch utopische Horrorvorstellung eines absolut gläsernen Menschen realistischer. George Orwells Befürchtungen sind längst übertroffen.

Der Gedanke, vollends ausgeforscht zu werden, ist erschreckend. Doch noch schlimmer ist die Vorstellung, durch elektronische Medien manipuliert zu werden. Geht das? Und ist das eine reale Gefahr? Oder gehört das in das Reich der Verschwörungstheorien?

Unsere Freizeitbeschäftigung Nr. 1 birgt in der Tat Gefahren, die wir meist unterschätzen: Wir sprechen von Fernsehen, Internet und Co., den elektronischen Informations- und Unterhaltungsmedien, die bekanntlich immer mehr zusammenwachsen. Der durchschnittliche Fernsehkonsum in Deutschland – 97 % aller Haushalte haben einen Fernseher – liegt bei fünf Stunden und 47 Minuten pro Tag. In amerikanischen Haushalten läuft der Fernseher durchschnittlich sogar sieben Stunden täglich. „Bei Kindern im Alter von drei bis fünf Jahren, der kritischen Phase für die kognitive Hirnentwicklung, wird die durchschnittliche Fernsehzeit auf 28 Stunden pro Woche geschätzt“, schreibt die Psychologin Jane Healy und bezieht sich dabei auf Amerika. „Hinzu kommen die Beschäftigung mit Internet, Videospielen und Smartphone.“

Wenn es um das Fernsehen geht, leben wir in Mitteleuropa – relativ gesehen – immer noch auf einer Insel der Glückseligen. Der Informations- und Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender mit ihrem vergleichsweise hohen Qualitätsniveau (und Werbezeiten nur zwischen 18 und 20 Uhr) hat uns bisher vor dem Schlimmsten bewahrt. Doch der „Bazillus Americanus“ hat sich längst auch bei uns eingeschlichen.

Worum geht es? „Die Statistiken konfrontieren uns mit der ernüchternden Tatsache“, schreibt Vicki Griffin, amerikanische Gesundheitsexpertin, „dass das Fernsehen eine hypnotische und möglicherweise auch abhängig machende Wirkung auf das Gehirn hat.“ Längst ist „Fernsehsucht“ ein feststehender Begriff, der auch die Forschung beschäftigt: „Extreme Gelüste sind nicht immer mit physischen Stoffen verbunden. Glücksspiel kann zwanghaft sein, und auch Sex kann zur Sucht werden. Doch eine Beschäftigung, die obendrein allgegenwärtiger ist als alle anderen, überragt alles: das Fernsehen, der Welt liebster Zeitvertreib. Die meisten Merkmale einer stofflichen Abhängigkeit treffen auch auf häufige Fernsehzuschauer zu.“

Als Merkmale von Abhängigkeit nennt Griffin: Viel Zeit mit etwas zu verbringen; mehr als gewollt davon zu konsumieren; über eine Reduzierung oft nachzudenken; mehrfach missglückte Versuche, den Konsum einzuschränken; Vernachlässigung wichtiger sozialer, familiärer und beruflicher Aktivitäten und das Auftreten von Entzugserscheinungen beim Absetzen der Droge.

Zwanghaftes Fernsehen kann verheerende Folgen haben: „Zuschauer berichten“, so Vicki Griffin, „dass sie sich beim Fernsehen entspannt und passiv fühlen. Aber die Entspannung endet, sobald das Gerät ausgeschaltet wird. Zurück bleibt ein Empfinden von Passivität und reduzierter Wachheit. Teilnehmer einer Befragung gaben an, das Fernsehen habe ‚irgendwie‘ ihre ‚Energie verbraucht oder sie leergesaugt‘. Wird der Fernseher eingeschaltet, stellt sich schnell Entspannung ein. Der Zuschauer lernt, die Tätigkeit des Zuschauens mit diesem Gefühl von Entspannung zu verknüpfen. Veränderungen im Gehirn stärken diese Verknüpfung. Doch sobald der Schirm wieder dunkel ist, treten Stress und eine Eintrübung der Stimmung auf. Das verstärkt den Drang, das Gerät anzulassen. Und je länger jemand fernsieht, desto weniger erlebt er es als befriedigend. Fernsehentzug kann bei Süchtigen Depressionen hervorrufen, aber auch Verlustgefühle, Angst und den starken Wunsch nach mehr von der anregenden Wirkung des Fernsehens.“

Kinder sind besonders gefährdet. „Übermäßiger Fernsehkonsum“, so Griffin, „kann dazu führen, dass Kinder jene Schaltkreise nicht entwickeln, die für kritisches Denken erforderlich sind. Gleichzeitig werden jene Hirnteile ‚überverdrahtet‘, die nach Neuem und Belohnung schreien, ohne dass man groß nachdenken muss. Allein das hat weitreichende Konsequenzen für die moralische, soziale und intellektuelle Entwicklung unserer Gesellschaft, wenn man bedenkt, wie viel Freizeit wir in die Flimmerkiste stecken.“...

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