Freunde bis ans Ende: Die USA und Israel

Freunde bis ans Ende: Die USA und Israel
Über die religiöse Inspiration der amerikanischen Nahost-Politik

Am 15. Mai 1981 notierte US-Präsident Ronald Reagan in sein Tagebuch: „Manchmal frage ich mich, ob wir dazu verdammt sind, Armageddon zu erleben.“ Etwa zur gleichen Zeit brachte der mächtigste Mann der Welt diesen Gedanken auch persönlich zum Ausdruck: „Wissen Sie“, sagte er zu Tom Dine, dem damaligen Direktor des American Israel Public Affairs Committee, „wenn ich zurückblicke auf Ihre alten Propheten im Alten Testament und die Zeichen, die Armageddon ankündigen, frage ich mich, ob wir nicht die Generation sind, die die Erfüllung dieser Dinge erleben wird.”1

Das Gespräch war durch eine Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangt. Reagan (1911-2004), der von 1981-1989 Präsident war, zählte sich eigentlich nicht zu jenen Christen, die aufgrund ihrer Kirchenzugehörigkeit glauben, dass Gott dem modernen Israel für das Ende der Zeit eine weltpolitische und heilsgeschichtliche Schlüsselrolle zugeschrieben hat. Dennoch räumte er ein, dass die evangelikale Sicht von einer angeblich biblisch vorhergesagten Rolle Israels kurz vor dem Weltende richtig sein könnte. Nicht zuletzt deshalb wollte er, dass die Vereinigten Staaten in ihrer Nahostpolitik treu an der Seite des „Volkes Gottes“ stehen. Diese Haltung entspricht bekanntlich einer alten und immer noch aktuellen Grundlinie amerikanischer Außenpolitik. Glücklicherweise veränderte der Zusammenbruch der Sowjetunion die geopolitische Lage derart, dass Ronald Reagan keine militärischen Maßnahmen ergreifen musste (oder konnte), um bei Harmagedon mit dabei zu sein.

Dennoch: Israel könnte sich keinen loyaleren Freund vorstellen als die USA. Die pro-israelische Haltung Amerikas muss als eines der herausragenden Beispiele für erfolgreiche Lobbyarbeit gelten. Selbst unter Präsident Obama, der eher einen gemäßigten Standpunkt gegenüber Israel einnimmt, hat Amerika intensiv mit dem israelischen Geheimdienst zusammengearbeitet, um die Weltgemeinschaft dazu zu bewegen, wegen seiner Bedrohung Israels Sanktionen über den Iran zu verhängen. Amerikas unerschütterliche Freundschaft mit Israel zeigt, dass selbst in unserer Zeit nicht nur wirtschaftliche und Sicherheitsinteressen, sondern auch eine religiöse Überzeugung die Politik einer Supermacht bestimmen kann.

Schon vor der Amtszeit von Ronald Reagan hatte der Autor Hal Lindsay eine Beratungsfirma für Nahost-Beziehungen gegründet. Lindsay, ein Evangelikaler, propagierte mit dem angeblich auf der Bibel fußenden Buch The Late, Great Planet Earth (1970, bis heute über 30 Millionen Mal verkauft) eine eigenwillige Sicht vom Ende der Welt. In ihr spielen das politische Israel und eine sogenannte geheime Entrückung der Gläubigen unmittelbar vor der Wiederkunft Christi eine besondere Rolle.

Zu der von Lindsay ins Leben gerufenen Beratungsfirma gehörten damals mehrere Mitglieder des Kongresses und der CIA sowie verschiedene israelische Generäle, Vertreter des Pentagon und der damalige kalifornische Gouverneur Ronald Reagan. Nachdem Reagan Präsident geworden war, berief er Lindsay in seinen Beraterstab für die amerikanische Nahostpolitik. Außerdem veranstaltete das Weiße Haus in jenen Jahren – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – eine Reihe von Israel-Seminaren, an denen zahlreiche prominente Vertreter der evangelikalen Fundamentalisten teilnahmen. Unter ihnen waren Hal Lindsay, die Fernsehprediger Jerry Falwell und Pat Robertson, der pfingstlerische Endzeitroman-Autor Tim LaHaye (er schrieb u. a. die Left Behind-Serie mit 80 Millionen verkauften Exemplaren), Ed McAteer, Robert McFarlane und Oliver North. Die Seminare und andere ähnliche Aktivitäten hatten die Funktion einer christlich-evangelikalen Lobbyarbeit, und die Ergebnisse konnten sich sehen lassen. Diese Lobbyarbeit wurde im Laufe der Jahre sogar noch wichtiger als die pro-israelische Lobbyarbeit der amerikanischen Juden – unter ihnen Vertreter der Hochfinanz, Intellektuelle und Prominente der Filmindustrie.

Israel profitierte von dieser Lobbyarbeit der Evangelikalen – und erwies sich als dankbar. Für seinen wirkungsvollen Einsatz erhielt Jerry Falwell beispielsweise im Jahr 1979 von der damaligen israelischen Regierung einen Privatjet als Geschenk. Außerdem verlieh ihm der damalige Premier-Minister Menachem Begin ein Jahr später den Jabotinsky Centennial- Orden. Damit war er neben Billy Graham, der zur selben Zeit den gleichen Orden erhielt, der einzige Nicht-Jude, dem diese hohe Ehre zuteil wurde.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Wer genau sind die Evangelikalen, besonders die Fundamentalisten? Traditionell rechnet man zu den Evangelikalen vor allem die Pfingstler und Charismatiker, aber auch Baptisten und Presbyterianer. Ihre Zahl in den USA heute: rund 100 Millionen. Das entspricht etwa einem Drittel der Bevölkerung. Zwei Drittel von ihnen wiederum, also etwa 65 Millionen, bezeichnet man als Fundamentalisten. Sie glauben, dass Gott jedes Wort der Bibel diktiert habe; außerdem sind sie eher bereit, ihre religiösen Überzeugungen politisch umzusetzen – und dabei sind sie nicht gerade zimperlich. Viele von ihnen wollen die USA in einen christlichen Gottesstaat verwandeln. Während der George-W.-Bush-Jahre (2000-2008) beherrschten sie über die Religiöse Rechte die Republikanische Partei.

Aufgrund ihrer prophetischen Sicht der Zukunft und einer wortwörtlichen Auslegung der Bibel schrieben die Fundamentalisten den Juden schon immer eine besondere Rolle zu. Unter George W. Bush schienen sie Israel neu entdeckt zu haben. Die Größe, Stärke und das Überleben des modernen Staates Israel stand ganz weit oben auf ihrer Agenda. Fast schien es sogar, als habe dieses Thema ihren Kampf gegen die Abtreibung auf den zweiten Platz verwiesen...

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