Ist Gott wirklich an allem schuld?

Ist Gott wirklich an allem schuld?
Der Schöpfer und sein schlechter Ruf

Im Kleingedruckten angelsächsischer Versicherungsverträge steht, dass die Versicherung dann nicht zahlt, wenn ein „Akt Gottes“ (Act of God) vorliegt. Die hauseigenen Juristen denken dabei an Naturkatastrophen. Wie kommen sie zu der Annahme, Gott sei der Verursacher aller großen Unglücksfälle? Wenn irgendwo – etwa bei einem schweren Erdbeben oder einem Hurrikan – großes Leid entsteht, wird letztlich Gott dafür verantwortlich gemacht. Im deutschsprachigen Raum sprechen wir von „höherer Gewalt“. Wir können uns dann aussuchen, ob wir damit Gott oder den Urknall oder den „allmächtigen“ Zufall meinen.

Im Mai 2007 titelte Der Spiegel: „‚Gott ist an allem schuld!‘ Der Kreuzzug der neuen Atheisten.“ In seinem Artikel beschreibt Alexander Smoltczyk einen neuen militantmissionarischen Atheismus, der Ausdruck eines Unbehagens in den westlichen Gesellschaften und die Reaktion auf eine religionsübergreifende neue Gläubigkeit sei. Es werde „in der Politik und auf Cocktailpartys immer öfter über Religion und Glauben gesprochen.“ Es sei „eine neue Generation der Freidenker, Pfaffenbeißer und Skeptiker … aufgebrochen, sich der ‚Rückkehr der Religionen‘ in den Weg zu stellen.“ Sie „merken“, so Smoltczyk, „wie ihre Gesellschaften den Glauben an die Gottlosigkeit zu verlieren beginnen … Vielleicht ist es auch die nackte Panik, dass Gott im Kampf mit der Aufklärung Sieger bleiben könnte.“ Oder es ist einfach nur „das wachsende Unbehagen über die Einmischung von Bischöfen und Islampredigern, Polit-Frömmlern und Kirchen“.

Prominentestes Sprachrohr und „Meisterdenker“ der „Aufklärungs- Fundamentalisten“ ist der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins, Autor des erfolgreichen Buches Der Gotteswahn (The God Delusion). Von den Lesern der angesehenen amerikanischen Zeitschrift Foreign Policy wurde er vor einigen Jahren unter die drei führenden Intellektuellen der Welt gewählt. Er gilt als einer der einflussreichsten „Hohepriester“ eines „Kreuzzuges“ gegen den Glauben. Dawkins ist nicht der Einzige. Einer seiner Mitstreiter, der britische Autor Christopher Hitchens, schreibt: „‚Religion vergiftet alles.‘ Sie ist der Feind der Wissenschaft, beruht ‚großteils auf Lügen und Furcht‘ und leistet Komplizendienste bei Völkermorden, Sklaverei, Rassismus und sexueller Unterdrückung.“

Beim genaueren Hinsehen wird deutlich: Der Kampf der Atheisten gegen jegliches Religiöse wird oft genährt von einem Gottesbild, das nicht viel gemeinsam hat mit dem in der Bibel. Für Dawkins beispielsweise ist Gott grausam. „‚Stellen wir uns eine Welt vor ohne Religion‘“, zitiert ihn der Spiegel. „‚Es gäbe keine Selbstmordbomber, keinen 11. September, keine Kreuzzüge und Hexenverfolgungen, keinen Israel-Palästina-Konflikt, keine Massaker in Bosnien, keine Verfolgung von Juden als ‚Christusmörder‘, keine Nordirland-‚ Unruhen‘, keine hochgefönten Fernsehprediger in schimmernden Anzügen, die leichtgläubigen Leuten ihr Geld aus der Tasche ziehen.‘“

Man könnte Dawkins Recht geben, wenn der Rückschluss von der Unmenschlichkeit mancher religiöser Eiferer auf Gott korrekt wäre. Ist Gott aber tatsächlich für alles Leid in der Welt verantwortlich? Woher kommt dieses negative Gottesbild? Woher wissen wir Menschen überhaupt, wie Gott ist? Es liegt nahe, dass man in der Bibel nachforscht und fragt, was sie uns über Gott sagt. Immerhin ist sie für die meisten Christen inspiriertes und autorisiertes Wort Gottes und damit Grundlage des christlichen Glaubens.

Die Bibel spricht von einer Hölle und von Höllenqualen. Könnte es daher sein, dass das grausame Gottesbild etwas mit der Vorstellung einer Hölle zu tun hat? Würde Gott nämlich die Ungläubigen am Ende der Zeit tatsächlich an einen Ort stecken, an dem sie ohne Ende gefoltert werden, an einen Ort also, an dem größtmögliche Qualen niemals abreißen – wäre Gott also wirklich so grausam, dann wäre er in der Tat das größte Monster aller Zeiten.

Dawkins, Jahrgang 1941, wuchs im anglikanisch-katholischen Glauben auf. Als Kind von einem Priester sexuell missbraucht, hält er den Glauben an eine Hölle für noch schlimmer als Kindesmissbrauch: „‚So schrecklich sexueller Missbrauch zweifellos auch war, der Schaden war wohl geringer als der dauerhafte psychologische Schaden, der entsteht, wenn ein Kind … katholisch erzogen wird.‘“ Für diese Aussage erntete er heftige Kritik. Später verteidigte er sich: Ein echter und tiefer Glaube an eine Hölle könne „‚bei einem Kind ein länger anhaltendes mentales Trauma verursachen, als die vorübergehende Peinlichkeit eines leichten körperlichen Missbrauchs.‘“

Auch Bertrand Russell (1872- 1970), Dawkins‘ Vorgänger als prominentester Atheist seiner Zeit und ebenfalls Brite, lehnte Gott nicht zuletzt wegen des Dogmas von einer angeblich unendlichen Höllenqual ab. „Ich meinerseits finde nicht“, sagte er einmal über die angeblich ewigen Höllenqualen, „dass jemand, der wirklich zutiefst menschenfreundlich ist, an eine ewigwährende Strafe glauben kann.“

Wenn Gottes Strafe tatsächlich ewig währte, könnte man es Dawkins und Russell nicht verdenken, dass sie Gott ablehnen. Die Vorstellung, dass Gott liebevoll und gerecht und gleichzeitig grausam und unmenschlich sei, ist in der Tat schwer zu akzeptieren. Viele Christen sehen diesen Widerspruch nicht. Sie glauben einfach. Und sie glauben an einen Gott, der die Ungläubigen am Ende der Zeit auf ewig straft. Doch ihr Glaube an Hölle und Fegefeuer zwingt sie zu einem Spagat zwischen der Liebe zu einem gütigen und vergebenden Gott einerseits und der Todesangst vor einem grausamen Monster andererseits. Das nämlich ist die offizielle Lehrmeinung der katholischen Kirche (ca. 1,2 Milliarden Mitglieder) und der meisten evangelikalen Glaubensgemeinschaften (ca. 700 Millionen Mitglieder). Und das ist – wenn alle glauben, was ihre Kirchen lehren – fast die ganze Christenheit...

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