Die Vorgeschichte der Reformation

Die Vorgeschichte der Reformation
Das Ende des Mittelalters

Man kön nte sagen, dass das Mittelalter ungefähr um das Jahr 1500 endete, weil damals eine große Wende eintrat. Der gesamte europäische Kontinent war im Umbruch. Das Weltbild der Menschen veränderte sich so tiefgreifend wie nie zuvor. Diese neue Zeit brach aber nicht erst um 1500 an, sondern etliche Entwicklungen hatten sich bereits zuvor, im späten Mittelalter, angedeutet1 – im politischen, wirtschaftlichen, kirchlichen Wandel sowie in einem grundsätzlich neuen Denken. Was war damals ausschlaggebend gewesen, und was hatte die Voraussetzungen für Neuzeit und Reformation geschaffen?

Wandel im Denken: Renaissance und Humanismus

Das 14. Jahrhundert war im Abendland eine Zeit großer Krisen. Inmitten von politischer Zerrissenheit, kirchlicher Korruption, einem kriselnden Finanzsystem, der Pest und anderen Herausforderungen richteten Menschen den Blick zurück in die Antike – anfangs vor allem in Italien. Auf der Suche nach Kulturen, die Hilfestellung und Wiederbelebung für die eigene Situation geben könnten, die größer und klüger erschienen als die eigene, wurde man bei den alten Griechen fündig. Diese Wiedergeburt oder Wiederentdeckung der Antike leitete etwa ab Beginn des 15. Jahrhunderts einen grundlegenden Wandel im Denken, in der Kunst und der Philosophie ein. Diese Kulturepoche wurde deshalb später auch als Renaissance (frz. Wiedergeburt) bezeichnet.

Der griechische Philosoph Protagoras (gestorben ca. 415 v. Chr.) hatte gelehrt: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“. Damit wollte er sagen: Der Mensch ist im Denken und Tun selbstständig, nur sich selbst verantwortlich, und wird so zum Maßstab des Lebens.2 Nicht mehr Gott und Universalität, sondern Mensch und Nationalität rückten in den Mittelpunkt. Das Übernehmen dieser Gedanken führte dazu, dass Autoritäten wie Kirche, Papst und Tradition immer stärker abgelehnt wurden, ebenso die Bevormundung durch die Priester.

Der Blick zur Antike bewirkte auch eine entschiedene Hinwendung zur „Welt“. Während das Mittelalter sich um eine asketische Weltverneinung bemühte, rückte an deren Stelle jetzt der Genuss irdischer Schönheit. Das Alte löste in der Kunst enthusiastische Bewunderung aus, aber man wollte auch Neues schaffen, um das Alte noch zu übertreffen. Dies wurde von kunstliebenden Mäzenen – beispielsweise der einflussreichen Medici- Dynastie – finanziert. Es war die Zeit der großen Bildhauer, Maler und Architekten, ebenso eines uomo universale (Universalgenies) wie Leonardo da Vinci, dessen Neugierde und Forschergeist bis in die Gegenwart hinein inspirierend wirken. Es entstanden revolutionäre Gemälde wie „La nascita di Venere“ (Die Geburt der Venus) von Sandro Botticelli (um 1485), die keine biblischen Motive mehr im Fokus haben, sondern erstmals seit der Antike wieder die Schönheit des unbekleideten Frauenkörpers auf die Leinwand bringen und verherrlichen.

Im Bereich der Philosophie entwickelte sich aus der optimistischen Einschätzung der Fähigkeiten des Menschen der Humanismus. Hierfür stand wiederum die Vorliebe für das Menschenideal der Griechen und Römer Pate. Damals erhob Marsilius aus Florenz (gestorben 1499) den Ruf: „ad fontes“ (zurück zu den Quellen)! In der Folge wurden unter anderem die alten Sprachen studiert. Wer Denkfreiheit betont, entwickelt einen kritischen Blick und engagiert sich oft auch in wissenschaftlicher Forschung. Um 1440 wies der Humanist und Forscher Lorenzo Valla die Fälschung der Konstantinischen Schenkung nach3, womit dieses für die Kirche so wichtige Dokument, das den Kirchenstaat legitimieren sollte, als Lüge entlarvt wurde. Vor allem nördlich der Alpen waren es Humanisten, die die wissenschaftlichen Voraussetzungen für die Reformation schufen und zum Bibelstudium anregten. Martin Luther verwendete beispielsweise bei seiner Übersetzung des Neuen Testaments auf der Wartburg die erste gedruckte Ausgabe des griechischen Textes, die Erasmus von Rotterdam 1516 bei dem Buchdrucker Froben in Basel veröffentlicht hatte. Erasmus zählte zu den geachtetsten Gelehrten seiner Zeit und erhielt den Ehrentitel „Fürst der Humanisten“. Der Humanismus bereitete den Boden für die Reformation und förderte das spätere Interesse am Wirken von Martin Luther.

Dieser Wandel im Denken war auch Grundvoraussetzung für wichtige Erfindungen und Entdeckungen in den folgenden Jahrzehnten. Die Entwicklung der Buchdruckerkunst mit Verwendung von beweglichen Lettern ab 1450 durch Johannes Gutenberg revolutionierte die herkömmlichen Methoden der Buchproduktion und löste in Europa eine Medienrevolution aus.4 Für die Reformation ist die Bedeutung dieser Erfindung gar nicht hoch genug einzuschätzen, schließlich war Luther nicht nur der meistgelesene und umstrittenste Autor Europas, sondern auch der fleißigste Publizist des gesamten 16. Jahrhunderts.5

Durch die Forschungen von Nikolaus Kopernikus (1473–1543) wurde auch astronomisch im Jahre 1543 eine neue Ära eingeläutet, selbst wenn sein heliozentrisches Weltbild, bei dem sich die Erde um die eigene Achse und um die Sonne dreht, gegenüber dem vorherrschenden geozentrischen anfangs noch belächelt wurde. Auch die Entdeckungen eines Christoph Kolumbus (Seeweg in die Neue Welt 1492), Vasco da Gama (Seeweg nach Indien 1498) oder Ferdinand Magellan (erste Weltumseglung 1519–1522) hatten wesentliche Auswirkungen auf die weitere wirtschaftliche und politische Entwicklung des Abendlandes. Der Humanist Ulrich von Hutten bejubelt diese Zeit mit den Worten: „O Jahrhundert! O Wissenschaft! Es ist eine Lust zu leben!“6

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